Essbare Wildpflanzen

Unkraut oder delikat

Geschichte, Hintergründe und Forschung.

Bedeutung der Wildpflanzen heute und in der Vergangenheit

In unserer direkten Nähe gibt es eine große Anzahl leicht und in großer Menge verfügbarer essbarer Wildpflanzen. Die Wildpflanzen lassen sich ohne große Anstrengungen zu außergewöhnlichen, leckeren Speisen zubereiten und stellen eine ausgezeichnete geschmackliche Bereicherung unserer täglichen Nahrung dar.

Viele Heilpraktiker empfehlen heute mehr und mehr die Einbindung von Wildpflanzen in unsere Ernährung, denn sie bieten eine reichliche Fülle an konzentrierten Stoffen, die zur Kräftigung unserer Gesundheit beitragen. Laut einer Veröffentlichung des Center for Genetics, Nutrition and Health, Washington haben essbare Wildpflanzen einen weitaus höheren Anteil an den für Gehirn und die Blutgerinnung wichtigen Omega-3 Fettsäuren und antioxidativen Komponenten (Polyphenole, Vitamine) als kultivierte Pflanzen. Polyphenole sind zum Beispiel die intensiven Farbstoffe (Flavonoide, Anthocyane) in den Pflanzenzellen, die Wildpflanzen häufig dunkler und kräftiger aussehen lassen aus Zuchtformen, oder die Gerbstoffe (Tannine) und andere Geschmackstoffe, die oft herb schmecken, und die bei Wildpflanzen deutlich spürbar sind, in Zuchtformen jedoch weitestgehend herausgezüchtet wurden.
Laut Untersuchungen von Prof. Franke der Universität Bonn haben Wildpflanzen einen bedeutend höheren Anteil an Mineralstoffen, Vitaminen und Eiweiß als Zuchtgemüsearten. Die Konzentration kräftigender Vitalstoffe in den Wildpflanzenarten ist nachvollziehbar, denn sie selbst müssen ,,so gut ausgestattet“ sein, um auch ohne die Hilfe eines Gärtners oder Landwirts, lebensfähig zu sein. Sie sind beständig in bezug auf die meisten Wetter- und Wuchsbedingungsschwankungen und immun gegen die meisten Krankheiten, die die Kulturarten befallen.

Fertig zubereitete Wildpflanzengerichte sind salonfähig geworden und finden meist immer großen Anklang. Für aufgeschlossene und neugierige Menschen ist es fast paradiesisch, zu erkennen, dass wir von gesunder und bekömmlicher Nahrung nur so umgeben sind. Wildpflanzen benötigen kein Anbau und keine Pflege, sondern müssen nur geerntet werden. Es scheint wie die Wiederentdeckung eines wertvollen Schatzes. Dabei müssten essbare Wildpflanzen im Rückblick auf unsere Geschichte eigentlich das Selbstverständlichste auf der Welt für einen Menschen sein. Überträgt man die Menschheitsgeschichte auf eine 10 Meter lange Zeitachse, beginnend mit den frühesten Vorfahren des Menschen, vor ca. 15 Millionen Jahren, die sich v.a. von wildwachsenden Pflanzen ernährten, dann muss man die Zeitmarke, ab welcher der Mensch z.T. begann Ackerbau zu betreiben, Pflanzen also nun nicht mehr ausschließlich wild zu sammeln, ca. auf die letzten 7 Millimeter setzen.
Erst bei den letzten Bruchteilen des letzten Millimeters veränderte sich die Welt so drastisch, dass fast niemand in unseren Breiten die Ernährung mit Wildpflanzen mehr nutzten kann. Das über Jahrmillionen übertragene Wissen über diese wichtige Lebensgrundlage verschwand. Wie kam es dazu?
Die Kenntnisse über essbare Wildpflanzen waren ein Wissenspool, der den Menschen das Überleben sicherte. Es waren Erfahrungen, die den folgenden Generationen es einfacher und leichter machen sollten, sich im Leben zurecht zu finden. Man weiß, dass der Sammler der Steinzeit (ca. 500.000 - 10.000 v. Chr.) in gemäßigten Klimazonen maximal nur drei Stunden täglich brauchte, um seine Nahrungsversorgung zu sichern. In den Anfängen des landwirtschaftlichen Feldbaus waren alle Menschen an der Nahrungsbesorgung beteiligt. Und der Feldbau verdrängte zunächst noch nicht die Nutzung der wilden Pflanzen. Es wurde weiterhin ein Großteil der Nahrung wild gesammelt, und die Ackerbeikräuter galten als dankbare Zweiternte. In den spätbronzezeitlichen Ansiedlungen vor ca. 3000 Jahren fanden sich immer noch Reste von über 300 wild gesammelten Pflanzenarten. Pflanzenarten von denen viele die Vorgänger heute kultivierter Pflanzen sind.
Es wurde jedoch über das Wildpflanzenwissen so gut wie nichts aufgeschrieben, denn im Allgemeinen konnte kaum jemand schreiben. Das alltägliche Nahrungswissen wurde nur mündlich weitergegeben und verschwand daher rasant als die Menschen nicht mehr direkt ihre Nahrung selbst besorgten, sondern ein Versorgungssystem durch Landwirte und Produzenten dies ersetzte. Andere Erwerbsarbeit beschäftigte die Menschen zunehmend.

Es entstanden Auswahl und Zuchtformen von Pflanzen. Spezialisierter Nahrungsanbau schaffte neue Lebensmittel, die häufig größer und leichter zu verarbeiten waren. Nicht jeder konnte sich angebaute Nahrung leisten, viele mussten weiterhin sammeln. Hier entstand die Wertetrennung, die zu Ungunsten der Wildpflanzen verlief. Sie waren ,,nichts besonderes“, sondern das, was jeder haben konnte. In den Kriegs- und Notzeiten war das Auftreiben von Wildpflanzen wieder meist unumgänglich. Doch es wurde nun zur Tätigkeit entwertet, die nur in Notlagen als Nahrungsbezugsquelle erforderlich sei, denn es war bereits viel Wissen um die Richtige Zubereitung der Wildpflanzen verschwunden und zum anderen konnte man in der Not nicht auf die richtigen Sammelzeiten der Pflanzenteile warten. So wurde die Nahrung aus diesen Zeiten nicht als sehr bekömmlich in Erinnerung behalten. Das Einsammeln von Wildpflanzen verlor nach dem Zweiten Weltkrieg und spätestens nach den neunzehnhundertsechziger Jahren nach und nach an Bedeutung.
In der Zeit des Wirtschaftsaufschwunges, weltweit vernetzter Märkte und des Überflusses verschwand bis in die neunzehnhundertachtziger Jahre hinein das Sammeln von beheimateten Kräutern, Früchten und Nüssen sukzessive als Selbstverständlichkeit aus dem Alltagsleben. Dazu hat auch eine gewisse Abkehrhaltung zur Natur, die als „schmutzig“ angesehen wurde, beigetragen. Zurück blieben wenige in der Natur sammelnde Menschen als Reste einer einst ausgeprägten Kultur. Sie begrenzten sich auf ein Sammelgut, welches aus gärtnerischem Anbau nur begrenzt verfügbar war, wie Beeren (Him-, Brom-, Heidelbeeren) und Pilze. Wild-Gemüse spielten nahezu keine Rolle mehr. Das Sammeln wandelte sich dadurch von notwendiger Arbeit zum Freizeitvertreib. Das über Jahrtausende mündlich weitergetragene Wissen über den Gebrauch der Vegetation ging verloren. Erst heutzutage beginnen Köche und Kochschulen wieder sich ernsthaft mit dem Gegenstand der essbaren Wildpflanzen zu beschäftigen. Man entdeckt in ihnen außergewöhnliche Geschmacksnoten und gesunde Vitalstoffträger. Inzwischen werden essbare Wildpflanzen als Exklusivität zu Höchstpreisen in Gourmetrestaurants offeriert. Die Wertetrennung hat sich nun ins Gegenteil gedreht. Exklusiv sind sie deshalb geworden, weil kaum jemand die Pflanzen noch kennt und man leichter an Papayas kommt als an Wiesenbocksbartknospen.